Motoconchos
Eine dem europäischen Straßenbild wohl unbekannte Institution der RD ist die der Motoconchos.
Das sind Herren, die an Kreuzungen - nein eigentlich überall in der RD - mit ihren Motorrädern stehen und darauf warten, Fahrgäste zu ihrem Bestimmungsort zu verfrachten.
So in etwa sieht das aus:
Das ist eine außerordentlich praktische Vorgehensweise für Kurz- oder Mittelstrecken. Steigt man doch einfach hinten auf (ohne Weiteres auch zu zweit) und sagt dem Fahrer, wohin man möchte. Adé Anschnallen, adé Parkplatz- und Stausorgen. Zudem macht es auch noch Spaß.
Eine gute Idee könnte es sein, dem Fahrer bei Fahrtantritt mitzuteilen, dass man weder "Aire" ("Klimaanlage" durch Fahrtwind), noch "lágrimas" ("Tränen" durch Geschwindigkeit) möchte und auch nicht heute zu sterben gedenkt. Das sollte ihn veranlassen, etwas gemächlicher zu fahren. Will man aber schnellstmöglich ans Ziel, bestellt man Obiges - zumindest die ersten zwei - ausdrücklich (auf eigene Gefahr).
Beim Benutzen der conchos gilt es außerdem einige Kleinigkeiten zu beachten:
So wird allgemein angeraten, nur bei bekannten motochonchos aufzusteigen. Es soll dadurch sicher gestellt werden, dass der concho auch einigermaßen fahren kann (womöglich gar einen Führerschein hat) und es sich nicht um einen getarnten Verbrecher handelt, der nachts sein ahnungsloses Opfer an eine dunkle Stelle verfrachtet, wo es von wartenden Kumpanen ausgeraubt werden kann. Ich habe von einem solchen Fall noch nicht direkt gehört, halte es aber nicht für ausgeschlossen, gerade weil auch viele Dominikaner immer nur conchos ihres Vertrauens rufen. Dennoch erachte ich ein solches Tamtam für letztlich unpraktikabel, muss man doch ggf. jedes Mal mit dem concho seiner Wahl telefonieren und dann noch auf ihn warten.
Ich persönlich vergewissere mich eher, ob der Fahrer ... na, ja ... getankt hat - wobei ich vornehmlich die orale Aufnahme von Rum oder ähnlichem meine. Ggf. rieche ich auch, ob der letzten Zigarette des Chauffeurs zufällig Derivate der Hanfpflanze (lat. canabis sativa) beigefügt waren. Beides habe ich schon selbst erlebt. Nebenbei: Es kann auch vorkommen, dass unterwegs der Sprit des Motorrades ausgeht, da der Fahrer gerade das Geld für die nächste Füllung verdienen will. In all diesen Fällen dürfte anzuraten sein, einen anderen concho zu wählen.
Weiter bevorzuge ich ältere Fahrer, zeigt mir doch der Umstand des fortgeschrittenen Alters, dass sie bisher offenbar umsichtig genug gefahren sind, dieses zu erreichen. Tipp der hiesigen Motoconchos übrigens: Den unaufdringlichsten (= ruhigsten) Fahrer wählen und nicht einen, der sich vor drängelt und die Fahrt unbedingt will.
Auf dem ersten motoconcho - hier noch mit schickem all-inclusive Bändchen (Jugendsünde) |
Auch sei man sich bewusst, dass vielerorts ab 19:00 Uhr abends die conchos mehr Geld verlangen. Diesen Quatsch mache ich nicht mit, denn der Sprit ist abends natürlich nicht teurer, sondern man will einfach abkassieren, da dann weniger Auswahlmöglichkeiten bestehen und die Fahrgäste mehr Angst haben, zu Fuß zu gehen. Den Aufpreis bei Regen (ca. 100%) bezahle ich aber wegen der erhöhten Lästigkeit für den Fahrer.
Man sei sich aber immer eines gewissen Risikos bei der Conchofahrt bewusst. Ich bin Gottseidank verschont geblieben, habe aber schon einige fiese Unfälle mit motoconchos gesehen. Eigentlich versteht sich das aber von selbst: Immerhin fährt man als Sozius unangeschnallt, ohne Kombi und Helm auf einem Moped ohne Knautschzone bei einem zumeist quirligen Fahrer auf Straßen in zum Teil erbarmungswürdigen Zustand mit. Dass einer der conchos versichert ist, scheint mir außerdem dem Reich der Wunschvorstellungen zu entstammen.
Hier eine ausgefuchste Styropor-Helm-Variante ... die Schutzwirkung dürfte sich aber hauptsächlich auf unerwünschte Bussgelder beziehen |
Ungeordnetes:
Die Dame, die auf sich hält oder einen Rock trägt, setzt sich seitwärts (alter Damen-Reitersitz) auf das Motorrad, soll die breitbeinige Sitzvariante doch für Damen des Gewerbes reserviert sein. Eleganter wirkt diese Sitzposition in jedem Fall.
Die motoconchos sind sehr flexibel und gerne bereit, gegen Bezahlung hundertundeins Sachen zu erledigen, zB ein Essen vom comedor oder eine Gasflasche zu holen und nach Hause zu liefern (Vorkasse notwendig und auf eigene Gefahr). Auch hier geht es um Vertrauen und Wissen, könnte ein übler concho doch einfach mit dem Geld abhauen, falsch abrechnen oder nur eine halb-gefüllte Gasflasche zurückbringen.
Zudem kann man mit einem concho geradezu einen Einkaufsbummel machen und an allen möglichen Stationen halten, dort einkaufen, ein Schwätzchen halten undundund, wobei der concho dann jeweils wartet (Preis vorher klären).
Die Motoconchos warten überhaupt viel und haben - wie vermutlich die Taxifahrer in aller Welt - die Augen und Ohren offen. Man kann von ihnen viel erfahren, sollte aber auch eine gewisse Schwatzhaftigkeit betreffend die eigene Person einkalkulieren. Wurde zum Beispiel etwas geklaut, könnte man fragen, ob nicht einer der üblichen conchos vor Ort etwas gesehen hat oder weiß. Ich selbst lebe mit den conchos an "meiner Hausecke", schwatze was mit ihnen und helfe, wenn möglich, von Zeit zu Zeit, etwa mit Trinkgeldern, teile kleine Mahlzeiten (Brötchen oä) oder gebe ein "refresco" (Erfrischungsgetränk) aus.
Völlig üblich: Auch Kinder werden mit auf die Reise genommen (Foto aufgenommen an einem Polizei-Kontrollpunkt; daher wohl der Helm des - vorderen - Fahrers) |
Kleine Story zum Schluss: Normal starten die conchos immer sofort und reißen sich darum, einen Fahrgast aufzunehmen, sobald man das Haus oder den Bus (guagua) verlässt. Eines Morgens, als ich es eilig hatte und zudem meine Laune nicht die beste war, wartete aber gerade kein concho irgendwo in der Nähe. Nach einem kleinen Fußmarsch pfiff ich daher das nächstbeste Motorrad heran und orderte den Fahrer mehr oder weniger herrisch, mich sofort zur panadería (Bäckerei) zu fahren. Etwas unwillig tat der Fahrer das auch, wobei er außerdem merkwürdig verhalten fuhr. Auch wunderte ich mich über den metallischen, arg unbequemen Sitz seines Motorrades. An der Bäckerei angekommen wollte ich den Fahrer dann bezahlen, was dieser zu meiner größten Verwunderung ungelenk ablehnte - hmm?. Als er dann so abfuhr, dämmerte es mir: Hatte ich doch gerade den Lieferfahrer eines örtlichen colmados als motoconcho missbraucht, wobei dieser aus dominikanischer Höflichkeit oder um den unbekannten gringo nicht noch mehr zu verärgern, nichts gesagt und mich hilfsbereit zum Bestimmungsort gefahren hatte.
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