Zauberhafte Kleinigkeiten des Lebens in der RD
Die RD ist meiner Ansicht nach kein Paradies, zumindest nicht jeden Tag. Es gibt viele Erschwernisse, Unwägbar- und Lästigkeiten, von denen manche schon an geklungen sind und die manchem Mitteleuropäer schlicht unannehmbar erscheinen dürften. Was aber mag einen dann fesseln? Für mich sind es neben den großen, offensichtlichen Dingen - zB schönes Wetter, tolle Natur und Strände - aber gerade die Menschen mit ihren Kleinigkeiten und Geschichtchen des Alltags, die einen Ausgleich für die Fährnisse schaffen und mich immer wieder neu in ihren Bann ziehen.
Einige dieser "Kleinigkeiten am Wegesrand" fließen ja immer wieder in die Posts ein*, andere passen für mein Empfinden nie recht hinein. Genau diese möchte ich daher in dieser Kategorie einmal ungeordnet vorstellen und so das Bild der RD abrunden. Viel davon hat mit Ausdruck einer mir aus Europa unbekannten Unbeschwertheit sowie Tanzen und Singen zu tun. Anderes ist dagegen einfach unerwartet pragmatisch, hilfsbereit oder lustig. Schauen Sie selbst:
So eröffnet beispielsweise die Burgerkette "Johnny Rockets" in Santo Domingo am Morgen**:
Man stelle sich einmal vor, eine solche Morgenzeremonie bei
einer bekannten Burgerkette in der Filiale Wuppertal-Elberfeld
ein führen zu wollen ...
Oder: Eingeladen bei einer Bekannten schaue ich nach dem Essen zu, mit wie viel guter Laune sie danach - singend! - den Abwasch macht (Mein Angebot, selbst mit ab zu waschen wird von ihr und ihrem Bruder als völlig inakzeptabel unmännlich ab gelehnt):
Habe ich in Deutschland so bisher eher selten bis nie gesehen ...
Hier tanzt ein im Ruhestand befindlicher Polizeioberst, 67 Jahre, an einem Colmado in San Juan de Maguana, einfach aus Lust und Laune und weil ihm die Musik ins Blut geht:
An einem Colmado in Boca Chica wiederum juckt den Einpackhelfer während der Arbeit das Tanzbein, was weder Chef noch Kunden irgendwie stört:
(Die Aufnahme ist ungestellt, er sieht lediglich, dass ich ihn
filme - zuvor tanzte er gleichermaßen)
Am Rande dazu: Es gibt hier im Fernsehen regelmäßig Tanzwettbewerbe. Für meine Augen sind alle teilnehmenden Paare reif für die Weltmeisterschaft. Die Dominikaner sind aber natürlich viel versierter und daher unglaublich kritisch. Kleinste Fehler (die ich oft gar nicht sehe) werden aus gebuht und verlacht. Stellen Sie sich da mal vor, wie ich mich als Tanzanfänger fühle, wenn ich mit einer Dame tanze, die 25 Jahre Übung in Bachata und Merengue hat. Ich möchte da am liebsten immer eine alte Kriegsverletzung am Bein vor schützen ...
Überhaupt scheint mir, dass hier selbst die Kleinsten eher tanzen als laufen können:
In Sánchez/Samaná wiederum wechseln sich zwei nebeneinander liegende Geschäfte ("Tiendas") mit der Straßenmusikbeschallung ab - einmal, um Strom zu sparen, andererseits aus Gründen der Achtung der Konkurrenz und der Schonung des lyrischen Ohres der Passanten. So sieht das praktisch aus:
Tienda 1 (orange):
(Man beachte auch die entspannten Verkäufer in den blauen Hemden)
Tienda 2 (hellgrün):
(Den zu hörenden fiesen Gangster-Reggaeton aus dominikanisch-puertorico'scher
Co-Produktion kenne ich: PAO PAO PAO - REDIMI2 FEAT. VICO C - man schaue
mal das Video und denke an den Post "Da ist Musik drin!" - hier)
(Die Verlegenheitsgesten rühren von der Kamera her, als
sie diese entdeckt)
Noch eine Szene aus dem Guagua: Eine Bekannte und ich sind Zeuge, wie einer anderen Dame die 40 Peso für die Fahrt fehlen. Wie das hier aber so ist, hat sie dieser - gewiss nicht völlig unerwartet ein getretene - Umstand nicht am Einsteigen und Mitfahren gehindert. Der Cobrador ist verständlicherweise "not amused" und will sie alsbald aus dem Guagua werfen. Also sammeln die Umsitzenden, völlig Unbekannten, ihr Kleingeld zusammen, um für die Dame zu bezahlen, wobei meine Bekannte wirklich und wahrhaftig ihre (wörtlich!) letzten 10 Peso aus dem Portemonnaie gibt***. Das ist gewiss nicht immer üblich, aber ich sehe doch regelmäßig diese und andere Arten gelebter Nächstenliebe.
Finger gestaucht und kein Geld für den Arzt? Kein Problem - gewusst wie. |
Oder im Park: Eine studierende Bekannte (ich habe offenbar viele) und ich sitzen im Park in Santo Domingo und genießen den Nachmittag. Es kommt eine andere, unbekannte Studentin und bietet uns dubiose Billig-Kosmetik aus China zum Kauf an, womit sie nach ihren Angaben ihr Studium finanziert. Ich brauche von dem Zeugs nichts und kaufe daher auch nichts. Meine Bekannte, auch nicht eben betucht, ersteht aber gleich zwei der komischen Sets. Danach frage ich sie, ob sie denn diese Artikel brauchen könne. Sie sagt: "Nein, überhaupt nicht", erklärt aber, dass sie einfach gern anderen Studenten helfe. Diese Einstellung finde ich sehr sympathisch, so dass ich mir meinen Tipp, der Studentin einfach 50 Pesos zu schenken und ihr den unnützen Kosmetik-Kram (den man ja anschließend rum schleppen muss) zu lassen, verkneife.
Schließlich finde ich auch oft sehr hübsch, wie man sich an spricht. Zwar werden Ältere zumeist höflich gesiezt und mit "Usted" ("Sie") und "Señor/ Señora" ("Herr/ Frau") an gesprochen, aber eine jugendliche Person - deren Namen man nicht kennt oder erinnert - kann man ohne Weiteres duzen und mit "Joven" ("Bursche/ Jüngling") oder "Muchacho/-a" ("Junge/Mädchen") ansprechen. Das in Deutschland verpönte "Fräulein" - span.: "Señorita" - kann man, wenn ungefähr passend, ebenfalls noch verwenden.
Jemand braunhäutiges ruft man im Alltag auf der Straße ohne Zucken "Moreno" ("Brauner") oder als Allersweltname "Juan" oder "Maria" - selbst, wenn man keine Ahnung hat, wie der Betreffende wirklich heißt. Gerne stapelt man auch hoch und spricht eine Frau mit "Dueña" ("Herrin/ Gebieterin") oder jeden noch so einfachen Polizisten mit "Comandante" ("Kommandeur/ Major") an, was durchweg wohl wollend auf genommen wird. Kennt man jemanden länger als 5 Minuten, kann man ihn auch "Hermano" ("Bruder") oder schlicht "Amigo" ("Freund") nennen. Mitunter rufen auch frechere Männer ausladend gebauten Damen ihres Geschmackes "¡Abusadora!" hinterher, was wörtlich wohl soviel "ausfallend/ ausladend" heißt, im Kontext aber ein anzügliches Kompliment ist.
Ich hingegen werde zumeist "Rubio" ("Blonder/ Heller"), "Americano" ("Amerikaner") oder schlicht "Gringo" ("Ausländer")*5* gerufen. Klar, für ein dominikanisches Auge sehen alle "Weißen" zunächst ebenso gleich aus, wie für ungeübte Europäer alle braunen Dominikaner. Auch sind so feine Unterscheidungen wie "Amerikaner oder Europäer" natürlich weitgehend unbekannt. Für mich ist das völlig ok, denn könnte man in Europa gemeinhin einen Dominikaner von einem Haitianer unterscheiden oder von einem Brasilianer?
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* Etwas in diese Kategorie gehört auch der Post "Ganz entspannt im Nirgendwo", s. hier.
** Uhrwurm? Hier geht's direkt zu diesem tollen Oldie: Little Eva - The Locomotion.
*** Leider uncharmant, aber auch typisch, nimmt die Fahrpreiserschleicherin das Geld der anderen gerne an, kann sich
aber nicht zu einem aufwändigen Wort wie "Danke" entschließen und bleibt schlicht stumm. Mir (der auch bei
gesteuert hat) bleibt da immer ein Nachgeschmack, wohingegen einem Dominikaner das für gewöhnlich nichts aus
macht.
**** Man bedenke aber bitte immer die Umstände und wähle ich Zweifel die höflichere Variante ("Usted" usw.) - ich
appelliere an den gesunden Menschenverstand.
*5* Ob das unfreundlich gemeint ist, bleibt unklar, auch ob sich das Wort nicht nur auf US-Amerikaner bezieht. Die
dominikanischen Meinungen gehen da aus einander. Mir egal, alle wissen, wer gemeint ist.