Natinonalfeiertag und Karneval in einem
Der 27. Februar ist ein besonderer Tag in der RD, denn es ist der Nationalfeiertag ("Día de Independencia" = "Unabhängigkeitstag" von Haití) und zugleich Teil des hiesigen Karnevals.
Also fahre ich in den Norden der RD, in den sog. Cibao, nach La Vega, wo ein weit-gerühmter Karneval abgehalten wird:
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(Quelle: Eigenes Werk, Alexrk2/Wikipedia/*) |
Der Morgen beginnt dort zuerst mit den Nationalfeierlichkeiten. Es erfolgt der sog. "marcha de estudiantes", also der Aufmarsch der Schüler/ Studenten der Schulen und hiesigen Universitäten.
Jede Institution trägt stolz ihre eigene Uniform und die jeweilige Formation wird angeführt von einem Wimpel oder einem Plakat der Schule oder Universität.
Mann merkt, dass alle fleißig geübt haben und ihr Bestes geben, wobei aber auch die gute Stimmung nicht zu kurz kommt.
Den Wimpeln nach folgen - wie könnte es in Lateinamerika anders sein - Tanzgruppen und hinten dran eine Jungenkombo für das Tschingdrarassabumm:
Bei den ganz Kleinen marschieren die Eltern (vorsorglich) mit:
Das alles hat, neben der Freude am Nationalfeiertag, einen weiteren Grund: Gibt es doch an der Strecke Schiedsrichter, die Punkte für die Performance verteilen und die Gruppe mit den meisten Punkten gewinnt einen Preis ("premio"), von der etwa eine Schulrevonierung bezahlt wird.
Ellenlang reihen sich also mehrere Stunden lang in brütender Hitze die Gruppen aneinander und ziehen über eine festgesetzte Strecke durch die Stadt.
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frei übers.: "Ich bin stolzer Dominikaner" |
Zwischendurch betrachte ich das Rahmenprogramm, etwa turnende Jugendliche ...
... oder versuche mich an einer dramatischen Neuinterpretation des Schicksals von Laokoon:
Schließlich zerstreuen sich die Gruppen und die Teilnehmer gönnen sich ein Eis oder kehren (erschöpft) nach Hause zurück, um sich für den späteren Karneval ("carnaval") zu rüsten.
Am Nachmittag ab 16:00 Uhr folgt der eigentliche Karnevalsumzug auf anderer Strecke. Der heutige Trubel ist dabei nur ein Abschnitt des Karnevals, der an mehreren Tagen und Wochenenden statt findet.
Es ziehen zu lauter Musik viele verschiedene Gruppen ("comparsas") durch die Straßen, die zum Teil ganz aufwendige Kostüme aus dem Höllenfundus tragen:
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Die "Diablos Cojuelos" ("etwas hinkende/ kleine Teufel") haben
jeweils einheitliche Outfits
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Die klassischen/ traditionellen Masken sehen übrigens ziemlich anders aus und sind, wie der Karneval, regional unterschiedlich:
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Links die traditionelle Maskenart La Vegas |
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(Aufnahmen aus dem Museo Del Hombre Dominicano, Santo Domingo) |
Vor den einzelnen Gruppen paradieren wieder Schildträger, die die Namen der einzelnen Trupps/Zünfte tragen - zumeist solche aus der Welt des Horrors und des Bösen, also passend zu den Teufelsverkleidungen:
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"Die Teddies" |
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"Die Gewitter"** |
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"Dämonen - Karneval La Vega 23. Jubiläum" |
Die Gruppen sind relativ streng reglementiert und (sogar) organisiert, denn auch hier geht es um den Gewinn eines Preises, den die am besten bewertete comparsa am Ende erhält.
Die Kostümierten tragen außerdem sogenannte "vejigas" ("Blasen"), mit denen sie den Zuschauern wuchtig auf den Po schlagen dürfen, wohingegen diese dem zu entkommen suchen. Zum Teil rufen die Zuschauer den Vermummten auch scherzhaft zu: "¡Dame vejigaso!" (frei: "Gib' mir Schläge!"). Eine Bitte, der der jeweilige (böse) Teufel natürlich gerne nach kommt, wohingegen es sich die Rufer meist schnell anders überlegen und wegrennen.
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Die vejigas werden zumeist aus Schweinsblasen gemacht
und sind innen mit Luft aufgepumpt |
Das ist zwar erst einmal lustig, nach dem 20. Treffer von überschwenglichen Halbstarken und einem doch schmerzenden Hinterteil erlischt aber meine Geduld etwas und ich bin eine Sekunde lang in Versuchung, zur Abwechslung mal mit einem linken uppercut zu antworten. Dann kommt mir die bessere Idee: Einfach mal aus der Schußlinie gehen.
In den Zug mischen sich auch diverse andere Herren und Kostüme:
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Durch die Nase herbei gezogen: Kennen Sie diesen Herrn? |
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Fidel, altes Haus! ¿Cómo estás? - man beachte im
Übrigen die vortreffliche Figurenkombination ... |
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Ohne Worte |
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Den hätte ich jetzt so direkt irgendwie nicht erwartet ... |
Drumherum: Es ziehen frei umher Teufel, die sich mit schwarzem Motoröl eingeschmiert haben. Besser man gibt ihnen einen Obolus, drohen sie doch sonst, einen ausgiebig zu berühren und zu verschmieren. In Anbetracht meiner begrenzten Garderobe sorge ich daher dafür, immer genügend Kleingeld bei mir zu tragen.
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So verkleidet sich, wer kein Geld für ein aufwendiges Kostüm,
dafür aber ganz viel Fantasie und Kreativität hat
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Eine Variante sind Kinderteufel, die sich mit Dreck und Erde beschmiert haben:
Auch einige Straßenkreuzungs-Fensterputzer haben sich heute in Schale, äh Kostüm, geschmissen und lauern arglosen Autofahrern an Kreuzungen auf, um diese um Kleingeldmünzen zu erleichtern:
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... aber auch Nicht-Autofahrer bleiben nicht unbedingt verschont |
Alte Trivial-Pursuit-Frage: Welches sind die besten Plätze beim Stierkampf (und beim Karneval in La Vega)?
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Antwort: "Die im Schatten" |
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Die gute Laune kann man regelrecht greifen |
(Lied: Vamos a hablar inglés***)
Offenbar kennt man aber von offizieller Seite her seine Pappenheimer, denn die Polizei ist außerordentlich präsent, und das offenbar nicht für die übliche Helmpflichtkontrolle ... (würde eh' die Verkehrspolizei AMET machen)
Trotz allen fantastischen Spektakels bleibt die Realität nicht völlig außen vor. So lerne ich auf dem Weg zum Essen "Minicito" ("apodo"/ Spitzname), was soviel wie "Klitzekleiner" bedeutet, kennen. Minicito ist 64 Jahre alt und hat 1982 bei einem Arbeitsunfall in einer Mühle in Santo Domingo beide Beine verloren. Da er nach eigenen Angaben keine Unterstützung erhält, bettelt er seit dem. Froh, dass mir ein solches Schicksal erspart geblieben ist, kann ich ihm wenigstens mit seinem Mittagessen helfen.
Die Kostümgruppen drehen unterdessen weiter auf einer fest gelegten Strecke, die von Bar- und Musikzelten, Fressständen usw. gesäumt wird, insgesamt vier Runden, was sich über mehrere Stunden hin zieht.
Schließlich bin ich, wie viele andere, hundemüde vom Spektakel, aber froh an diesem Riesenspaß - sozusagen einer dominikanischen Fasnet - teilgenommen zu haben.
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* Weitere Quellen: SRTM3, ETOPO1, VMAP0, http://www.one.gob.do,
http://lib.utexas.edu/maps/dominican_republic.html.
** Auf diesen Schildern sind mitunter auch die Namen von Sponsoren ("padrocinadores") zu sehen, die die Kostüme der
Gruppen (mit-) finanziert haben.
*** Das ist mal Merengue típico. Frei übersetzt:"Reden wir Tacheles!". Das ist das Original (Liveversion).
Interessant: Hier kann man hören, wie im "campo"/Norden der RD das "r" durch "i" ersetzt wird - "Vamos a hablai
inglés" (s. auch post: "In einem unbekannten Land").