Santo Domingo, revisited (1)


3 Sehenswürdigkeiten von La Capital




Ich bin noch mal in mich gegangen ... und habe schlapp gemacht. Mein Schwippschwager im Geiste, der Reiseführer "Molwanien"*, hat sie - darum will ich sie auch! Also auf, auf - hier zur Abwechslung mal (m)ein Blick auf einige typische Sehenswürdigkeiten in Santo Domingo, die ich ja eigentlich aussparen wollte. Da alle drei zusammen einen zu langen Text ergeben würde und nach meiner Erfahrung "mehr auf einmal" nicht unbedingt auch "besser" bedeutet, erlaube ich mir, diese novela in drei Teile aufzuteilen.


Hier zur Einstimmung Teil 1:


Acuario Nacional


Schon lange auf meiner Wunschliste stand der Besuch des Nationalaquariums in Santo Domingo. Das liegt an der Avendia España am Malecón von Santo Domingo:



Am Eingang werde ich per Schild gleich standesgemäß begrüßt**:

Immerhin weiß ich jetzt, warum es National-Aquarium heißt ...

Es ist noch früh, daher ist drinnen noch nicht viel los:




Im Inneren gibt es dann verschiedene Bereiche mit allerlei (in die Jahre gekommenen) Aquarien. Die Fischanzahl gleicht derjenigen der Besucher am Morgen. Hier einige Impressionen:

              Nemo's bucklige Verwandtschaft ...
                                                                                             Womöglich Strafarbeit für versuchten
                                                                                                                                  Fischdiebstahl? Fensterputzen ...

                Viele Fische sind ausgeflogen ...
                                                                                                ... oder hängen an der Wand (ab). 


Immerhin entdecke ich dann doch noch ein paar lebendige Exemplare:

Alter Mythos entthront: Alle Fische der Karibik sind bunt und ausgefallen

Viel gepriesen ist ein Tunnel durch eines der Aquarien, der zwar hübsch, allerdings in Wahrheit kleiner ist, als es das trügerische Foto glauben machen will (ca. 10 m Länge):



Dort treffe ich auch den Hausmeister beim Putzen:



Des Weiteren gibt es einen ... hmm ... liebevoll gestalteten Vorführraum, in dem ein Film des - oha! - Shell-Konzerns gezeigt wird. Dieser befasst sich dann unerwarteter Weise nicht etwa mit den vielen Vorzügen der Tiefsee-Erölförderung, sondern mit der Artenvielfalt der karibischen Unterwasserwelt:



Weiter entdecke ich dieses ungewöhnliche Exponat - meiner ersten Vermutung nach ein ausgewachsener Yps-Urzeit-Krebs (man hatte mich früher immer gewarnt, dass die groß werden!):

                                        Das Skelett entpuppt sich dann aber als dasjenige eines Wals, wie man
                                        sie etwa vor der Halbinsel Samaná (Nordosten der RD) bei der Paarung
                                        live sehen kann.


Im Außenbereich des Aquariums kann man nett chillen und sogar ein Picknick machen (Mitbringen von Speisen und Getränken ist völlig ok):


Alles ist angenehm familienmäßig ausgelegt und die Kinder sind auch beschäftigt:



Zum Abschluss bestaune ich noch die Schildkröten, deren Bewegungsrasanz mich unwillkürlich an die Geschwindigkeit meiner dominikanischen Telefon-Kundenbetreuungsstelle am Nachmittag erinnert:

       



__________________

* "Molwanien - Land des schadhaften Lächelns" (Heyne 2006, ISBN-13: 978-3453120136) - äußerst humoriger 
   Reiseführer durch das Fantasieland Molwanien mit der Hauptstadt Lutenblag.

** Übersetzung: "Eintritt - Dominikaner: Erwachsene 60 Peso (ca. 1,20 Euro), Kinder 40 Peso (ca. 80 Eurocent) - 
   Ausländer: Erwachsene 3 Dollar (!) (ca. 2,30 Euro), Kinder 2 Dollar (ca. 1,54 Euro)".



Flauschig-lauschig im Stundenhotel


Stelldichein in der Cabaña



Eine erwähnenswerte Besonderheit der RD sind auch die cabañas. Das sind zumeist befahrbare Kurzzeithotels, die 24 Stunden geöffnet haben und ganz besonders zweckoptimiert sind. Lust auf einen Abstecher ins Dämmerlicht?

"Cabaña" bezeichnet eigentlich ein schilfgedecktes, offenes Holzhäuschen und soll hier vermutlich eine traute Atmosphäre am Busen (pun intended) der Natur suggerieren. Damit haben die heutigen cabañas aber ungefähr genau so viel zu tun wie ein Saunaclub mit einem Schrebergarten.

Eine der ersten Cabañas der RD: Villa España in SD Este

Entstanden sind die heute üblichen Cabañas etwa in den 70er Jahren, da die vorher gleichermaßen genutzten Hotels nicht mehr verschwiegen genug waren, gerade in Anbetracht der in der RD weit verbreiteten Tendenz - andere sagen: Seuche - zu Klatsch & Tratsch ("Chismoso").

Die Cabañas dienen nämlich weit überwiegend dem Zweck, diskret mit der Begleitung seiner Wahl - die oftmals nicht der Ehepartner sein dürfte - ungestört und sicher ein paar heimelige Stunden in besonderer Atmosphäre zu verbringen.


Dazu funktionieren die Cabañas nach einem ausgetüfelten System. Um das kennen zu lernen, begeben wir uns einmal in das "Las Vegas" der cabañas, nach San Isidro* in Santo Domingo. Hier reihen sich an einer Straße ca. 20 solcher Burgen an einander:





Wenn man bedenkt, dass diese im Durchschnitt jeweils 35 - 75 Zimmer haben und San Isidro lang nicht alle Cabañas von Santo Domingo beherbergt, wird ansatzweise klar, wie groß das Geschäft sein muss und wie zu getan die Dominikaner dieser Art von Freizeitgestaltung sein dürften.


Darüber hinaus gibt es Cabañas überall in der RD, mindestens eine auch in nahezu jedem kleinen Landkaff. Es handelt sich also mit Nichten um eine städterische Verirrung.


Will man nun in einer Cabaña einkehren, fahre man mit Begleitung in seinem PKW, vorzugsweise mit verdunkelten Scheiben, dort hinein, und zwar in eine der freien Garagen. Grundsätzlich kann man natürlich auch zu Fuß, mit Moped oder Taxi kommen, wenn Diskretion nicht so wichtig ist.

Cabañaeinfahrt: Erinnert mich lose an eine Reihenhaussiedlung

Dort kann man dann ungesehen aussteigen und das Garagenrolltor herunter lassen. Durch eine Tür gelangt man dann direkt in das innere Sanctum.

Links: Frei, rechts: ... schon belegt

Die Art und Austattung der Zimmer können je nach Geschmack und Geldbeutel gewählt werden, zB mit Jacuzzi, TV-Erwachsenenunterhaltung oder Lichteffekten. Hier einige Eindrücke:



Nicht gerade, was man von einem Land der dritten Welt(+) erwarten würde, oder?

Aus der Innenausstattung:

Links: Jacuzzi mit ... Tanzstange
Rechts oben: "Neue Leitung - Kabelfernsehen, Warmwasser (!),
digitaler Musikempfang, "Hygiene ist unsere Priorität"**
Rechts mittig: Neuer Fernsehsessel?
- Nein! - Pflichtinventar "Silla erótica" ("erotischer Stuhl")
... mit Schild für Gebrauchsvorschläge (rechts unten)***

Die weniger Erotik verbreitende Aussicht in einem
günstigeren Zimmer. Dafür weiß der
 Kunde immerhin genau Bescheid ...

Man lasse sich aber nicht trügen, denn der Standard kann auch deutlich, deutlich unterhalb desjenigen der oberen Bilder liegen, etwa, wenn man in Nähe einer Amüsiermeile eine Kurzzeitbleibe sucht. Dann ist das Wort Cabaña mitunter wörtlicher zu nehmen und die Unterkunft nähert sich vom Komfort her eher einem Gartenhäuschen an.


Die Kosten Aufenthalt liegen allgemein von ungefähr 280 Pesos (ca. 5,60 Euro für zwei Stunden) über ca. 1.000 Peso (ca. 20 Euro für zwei Stunden) bis hin zu "oben offen" (das teuerste, das ich selbst gesehen habe, waren 2.800 Peso - ca. 56 Euro - für 2 Stunden für im Top-Zimmer). Natürlich kann man immer beliebig viele Stunden buchen.


Der Clou nun: In den Zimmern gibt es eine blickdichte Klappe, durch die man(n) bezahlt und außerdem Verschiedenes bestellen kann, etwa Essen und Getränke. Auch Handtücher und andere Utensilien, etwa solche der Ehehygiene, reicht das Haus durch die Luke herein. So ist sicher gestellt, dass nicht einmal das Personal weiß, wer sich in dem Zimmer befindet. Diskretion pur.

Rechts: Man kennt die Tricks ... "Keine Kartenzahlung - nur Bargeld"

Am Rande: Natürlich hat jede Cabaña aber gewisse Sicherheitsvorkehrungen und stellt sicher, dass man nicht  als Abschiedsgruss das Inventar ausräumt oder eine Leiche zurück lässt.



Zum Abschluss steigt man dann wieder in seinen Wagen (den mit den verdunkelten Scheiben), öffnet das Garagentor und schwebt von dannen. So bleibt denn nur:


"Was er mit mir tat,
das soll nie jemand
erfahren, außer er und ich
und ein kleines Vöglein,
tandaradei,
das kann wohl verschwiegen sein."

(Walther von der Vogelweide - "Under der linden")




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* Einige Bilder stammen auch aus der Cabaña-Meile nahe La Haina und wurden zur Abrundung beigefügt.


** Ich habe auch Cabañas gesehen, die mit Twitter- und YouTube-Anbindung werben ... wofür auch immer man das da 
    brauchen sollte.

*** Jugendschutz (sei Dank?) bekommt der werte Leser die "Gebrauchsvorschläge" und andere auch nur leicht Nacktheit 
    zeigende Bilder als Kompromiss zwischen meiner Kunstfreiheit und dem Jugendschutz so (= bis zur nahezu 
    vollständigen Unkenntlichkeit verschwommen) serviert. Ich kann Minderjährige leider nicht trennen oder vom Blog 
    ausschließen, so dass ich mich zur Vermeidung juristischer Komplikationen zu diesem Kompromiss gezwungen sehe.


La Vega ²


Natinonalfeiertag und Karneval in einem



Der 27. Februar ist ein besonderer Tag in der RD, denn es ist der Nationalfeiertag ("Día de Independencia" = "Unabhängigkeitstag" von Haití) und zugleich Teil des hiesigen Karnevals.

Also fahre ich in den Norden der RD, in den sog. Cibao, nach La Vega, wo ein weit-gerühmter Karneval abgehalten wird:

(Quelle: Eigenes Werk, Alexrk2/Wikipedia/*)







Der Morgen beginnt dort zuerst mit den Nationalfeierlichkeiten. Es erfolgt der sog. "marcha de estudiantes", also der Aufmarsch der Schüler/ Studenten der Schulen und hiesigen Universitäten.


Jede Institution trägt stolz ihre eigene Uniform und die jeweilige Formation wird angeführt von einem Wimpel oder einem Plakat der Schule oder Universität.

Mann merkt, dass alle fleißig geübt haben und ihr Bestes geben, wobei aber auch die gute Stimmung nicht zu kurz kommt.














Den Wimpeln nach folgen - wie könnte es in Lateinamerika anders sein - Tanzgruppen und hinten dran eine Jungenkombo für das Tschingdrarassabumm:


Bei den ganz Kleinen marschieren die Eltern (vorsorglich) mit:


Das alles hat, neben der Freude am Nationalfeiertag, einen weiteren Grund: Gibt es doch an der Strecke Schiedsrichter, die Punkte für die Performance verteilen und die Gruppe mit den meisten Punkten gewinnt einen Preis ("premio"), von der etwa eine Schulrevonierung bezahlt wird.


Ellenlang reihen sich also mehrere Stunden lang in brütender Hitze die Gruppen aneinander und ziehen über eine festgesetzte Strecke durch die Stadt.





frei übers.: "Ich bin stolzer Dominikaner"


Zwischendurch betrachte ich das Rahmenprogramm, etwa turnende Jugendliche ...



... oder versuche mich an einer dramatischen Neuinterpretation des Schicksals von Laokoon:






















Schließlich zerstreuen sich die Gruppen und die Teilnehmer gönnen sich ein Eis oder kehren (erschöpft) nach Hause zurück, um sich für den späteren Karneval ("carnaval") zu rüsten.


Am Nachmittag ab 16:00 Uhr folgt der eigentliche Karnevalsumzug auf anderer Strecke. Der heutige Trubel ist dabei nur ein Abschnitt des Karnevals, der an mehreren Tagen und Wochenenden statt findet.




Es ziehen zu lauter Musik viele verschiedene Gruppen ("comparsas") durch die Straßen, die zum Teil ganz aufwendige Kostüme aus dem Höllenfundus tragen:

Die "Diablos Cojuelos" ("etwas hinkende/ kleine Teufel") haben
jeweils einheitliche Outfits

























Die klassischen/ traditionellen Masken sehen übrigens ziemlich anders aus und sind, wie der Karneval, regional unterschiedlich:

Links die traditionelle Maskenart La Vegas
(Aufnahmen aus dem Museo Del Hombre Dominicano, Santo Domingo)

























Vor den einzelnen Gruppen paradieren wieder Schildträger, die die Namen der einzelnen Trupps/Zünfte tragen - zumeist solche aus der Welt des Horrors und des Bösen, also passend zu den Teufelsverkleidungen:

"Die Teddies"
"Die Gewitter"**
"Dämonen - Karneval La Vega 23. Jubiläum"

Die Gruppen sind relativ streng reglementiert und (sogar) organisiert, denn auch hier geht es um den Gewinn eines Preises, den die am besten bewertete comparsa am Ende erhält.


Die Kostümierten tragen außerdem sogenannte "vejigas" ("Blasen"), mit denen sie den Zuschauern wuchtig auf den Po schlagen dürfen, wohingegen diese dem zu entkommen suchen. Zum Teil rufen die Zuschauer den Vermummten auch scherzhaft zu: "¡Dame vejigaso!" (frei: "Gib' mir Schläge!"). Eine Bitte, der der jeweilige (böse) Teufel natürlich gerne nach kommt, wohingegen es sich die Rufer meist schnell anders überlegen und wegrennen.

Die vejigas werden zumeist aus Schweinsblasen gemacht
und sind innen mit Luft aufgepumpt

Das ist zwar erst einmal lustig, nach dem 20. Treffer von überschwenglichen Halbstarken und einem doch schmerzenden Hinterteil erlischt aber meine Geduld etwas und ich bin eine Sekunde lang in Versuchung, zur Abwechslung mal mit einem linken uppercut zu antworten. Dann kommt mir die bessere Idee: Einfach mal aus der Schußlinie gehen.



In den Zug mischen sich auch diverse andere Herren und Kostüme:

Durch die Nase herbei gezogen: Kennen Sie diesen Herrn?



















Fidel, altes Haus! ¿Cómo estás? - man beachte im
Übrigen die vortreffliche Figurenkombination ...

Ohne Worte
Den hätte ich jetzt so direkt irgendwie nicht erwartet ...






















Drumherum: Es ziehen frei umher Teufel, die sich mit schwarzem Motoröl eingeschmiert haben. Besser man gibt ihnen einen Obolus, drohen sie doch sonst, einen ausgiebig zu berühren und zu verschmieren. In Anbetracht meiner begrenzten Garderobe sorge ich daher dafür, immer genügend Kleingeld bei mir zu tragen.

So verkleidet sich, wer kein Geld für ein aufwendiges Kostüm,
dafür aber ganz viel Fantasie und Kreativität hat

Eine Variante sind Kinderteufel, die sich mit Dreck und Erde beschmiert haben:



Auch einige Straßenkreuzungs-Fensterputzer haben sich heute in Schale, äh Kostüm, geschmissen und lauern arglosen Autofahrern an Kreuzungen auf, um diese um Kleingeldmünzen zu erleichtern:

... aber auch Nicht-Autofahrer bleiben nicht unbedingt verschont

Alte Trivial-Pursuit-Frage: Welches sind die besten Plätze beim Stierkampf (und beim Karneval in La Vega)?

Antwort: "Die im Schatten"

Die gute Laune kann man regelrecht greifen

(Lied: Vamos a hablar inglés***)


Offenbar kennt man aber von offizieller Seite her seine Pappenheimer, denn die Polizei ist außerordentlich präsent, und das offenbar nicht für die übliche Helmpflichtkontrolle ... (würde eh' die Verkehrspolizei AMET machen)







Trotz allen fantastischen Spektakels bleibt die Realität nicht völlig außen vor. So lerne ich auf dem Weg zum Essen "Minicito" ("apodo"/ Spitzname), was soviel wie "Klitzekleiner" bedeutet, kennen. Minicito ist 64 Jahre alt und hat 1982 bei einem Arbeitsunfall in einer Mühle in Santo Domingo beide Beine verloren. Da er nach eigenen Angaben keine Unterstützung erhält, bettelt er seit dem. Froh, dass mir ein solches Schicksal erspart geblieben ist, kann ich ihm wenigstens mit seinem Mittagessen helfen.




Die Kostümgruppen drehen unterdessen weiter auf einer fest gelegten Strecke, die von Bar- und Musikzelten, Fressständen usw. gesäumt wird, insgesamt vier Runden, was sich über mehrere Stunden hin zieht.




















Schließlich bin ich, wie viele andere, hundemüde vom Spektakel, aber froh an diesem Riesenspaß - sozusagen einer dominikanischen Fasnet - teilgenommen zu haben.






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* Weitere Quellen: SRTM3, ETOPO1, VMAP0, http://www.one.gob.do, 
   http://lib.utexas.edu/maps/dominican_republic.html.

** Auf diesen Schildern sind mitunter auch die Namen von Sponsoren ("padrocinadores") zu sehen, die die Kostüme der 
   Gruppen (mit-) finanziert haben.

*** Das ist mal Merengue típico. Frei übersetzt:"Reden wir Tacheles!". Das ist das Original (Liveversion).
   Interessant: Hier kann man hören, wie im "campo"/Norden der RD das "r" durch "i" ersetzt wird - "Vamos a hablai
   inglés" (s. auch post: "In einem unbekannten Land").