Guaguas und Carros públicos
Aus europäischer Sicht betrachtet, wirkt der Nahverkehr der RD, gelinde ausgedrückt, .... etwas chaotisch. Bei genauerem Hinsehen wird man bemerken, dass er in Wahrheit außerordentlich pragmatisch ist und gar nicht schlecht funktioniert.
Der geneigte Leser hat ja bereits die Nahstreckenvariante "Motoconcho" kennen gelernt. Für mittlere und weitere Entfernungen wird dieses - ich will es mal so nennen - "System" ergänzt durch Busse, sog. "guaguas"** und in größeren Städten durch "Carros públicos"*** ("öffentliche Autos"). Eben diese möchte ich heute einmal vorstellen.
Guaguas
Die guaguas gibt es in verschiedenen Ausführungen. Für mich unterscheide ich die Nahstrecken- und die Überlandbusse.
Die Nahstreckler sind zumeist japanische oder chinesische Busse und für das europäische Auge etwas ungewohnt. So in etwa sehen sie aus:
Die allgegenwärtigen Kuhfänger dienen dazu, bei Nachtfahrten auf den zumeist unbeleuchteten Straßen gefahrlos alles Mögliche überrollen zu können ... |
Vorne rechts ein hochgesetzter Luftansaugstutzen - man rechnet also offenbar mit höheren Wasserständen |
Die Nahstreckenlinien sind meist semi-privat organisierte Clübchen, etwa in der Art größer-organisierter Fahrgemeinschaften, die bestimmte Strecken abfahren und oftmals unaussprechliche Akronyme führen. In Boca Chica, Santo Domingo und San Andrés gibt es zum Beispiel die "roten" (ASOCHOMBCA) und die "blauen" (SICHOPROBOCH).
Eine Fahrt mit einem solchen guagua ist relativ günstig. Etwa kostet eine Fahrt Boca Chica - Santo Domingo, ca. 30 km Entfernung, 60 Peso (normal/ = ca. 1,20 Euro) oder 70 Peso (ca. 1,40 Euro) mit dem Express. In anderen Orten kosten ähnliche Entfernung in etwa gleich viel.
Eine "mittlere" Innenausstattung; Die Gardinen oben links gibt's aber gewöhnlich nur im Express |
Die Innenausstattung und der Komfort der Kurzstreckler schwanken, wobei die Express-guaguas etwas feiner und zudem meist klimatisiert sind, was die Fahrt an heißen Tagen doch deutlich angenehmer macht.
Wichtigster Mann in so einem guagua ist nicht etwa der Fahrer, sondern der "cobrador". Er ist Schaffner und zugleich Mädchen-für-alles. Er fährt meist lässig an der Eingangstür stehend mit und heißt den Fahrer anfahren und anhalten (indem er zB auf das Wagendach oder die Fahrzeugseite schlägt und ruft). Das ist sehr praktisch, ist der Fahrer doch zumeist vollauf damit beschäftigt, das guagua einigermaßen heil durch den oft wüsten Verkehr zu manövrieren - eine nicht zu unterschätzende Anforderung. Kapazitäten für ein kleines Handygespräch des Fahrers während der Fahrt oder Mitklatschen und Singen eines Lieblingsliedes sind für gewöhnlich aber immer noch frei.
Die Kasse hat dieser cobrador, wie oft üblich, in der linken Hand |
Eine weitere Hauptaufgabe des cobradors ist es außerdem, das guagua voll mit Fahrgästen zu bekommen, damit sich die Fahrt auch lohnt. Erspäht er potenzielle Fahrgäste am Straßenrand, ruft und winkt er diese heran, kräht laut das Fahrtziel aus oder zeigt es mittels Fingerzeichen an.
Cobradores an der Anfangshaltestelle der ASOCHOMBCA in San Andrés |
Weiter kassiert der cobrador, hilft Alten, Schwachen, Kindern und Damen (den hübschen besonders gern) beim Ein- und Aussteigen und reicht Gepäckstücke an. Auf dem Lande kann man den cobrador sogar bitten, an einem colmado einen schnellen Einkauf zu machen oder Wechselgeld zu besorgen.
Was also tun, wenn man guagua fahren will? Sieht man nun an einer Straße einen Bus herannahen, hebt man den Arm um anzudeuten, dass man mit will bzw. anzuzeigen, ob man weit fahren will (Finger mehrmals nach oben strecken) oder nur Nahbereich wünscht.
Die Fahrgäste warten an der Autobahn (!) auf die Mitnahme - der cobrador zeigt an, dass das guagua Überland fährt |
Beachtenswert: Das guagua wird, wo immer möglich, anhalten und jeden vom Fahrtziel halbwegs passenden Fahrgast aufnehmen, da unter den Linien natürlich Konkurrenz herrscht. Bei den normalen guaguas kann das sprichwörtlich an jedem Hühnerstall und jeder Laterne sein, so dass die Fahrtzeit von einer halben Stunden ohne Weiteres auf Doppelte oder mehr anwachsen kann.
Die Express-guaguas dagegen halten unterwegs zumeist nur an wenigen bestimmten Stellen an - ein Vorteil, den ich sehr zu schätzen gelernt habe.
Man kann dann beim Anhalten oder auf die Entfernung sehen, ob das guagua ein Schild in der Fahrerfront hat, auf dem die Endhaltestelle ausgeschrieben steht. Wenn ich das guagua oder die Strecke nicht genau kenne, rufe ich dem cobrador mein ungefähres Ziel zu, woraufhin dieser abwinkt (und weiterfahren lässt - wenn das nicht auf seiner Strecke liegt) oder eben anhält und mich einsammelt.
Bonbons am Rande: Die Fahrer habe ich oft als sehr gewitzt erlebt. So entschließen sie sich ohne Weiteres, zur Vermeidung eines Stillstandes im Stau die eigentliche Fahrtstrecke zu ändern, mal eben über den Gegenverkehr in eine Einbahnstraße ab zu biegen oder andere Tricks aus dem Ärmel zu zaubern, Hauptsache es geht voran. Denn im Stau wird kein Geld verdient und man verpulvert unnötig den teuren Sprit. Hört sich wüst an, aber ich empfinde zumeist echte Dankbarkeit dafür, dass der Fahrer mir einen stundenlangen Aufenthalt im Stauchaos durch einen guten Kniff (und vermutlich eine mittlere/ größere Verkehrsordnungswidrigkeit) erspart.
Dem Vernehmen nach sollte außerdem vor Jahren einmal eine Promilleobergrenze für Busfahrer im Dienst eingeführt (und sogar durchgesetzt) werden, was aber - wie üblich - dann doch wieder versandete.
Die normalen guaguas werden vom cabrador mitunter bis zum Platzen mit Leuten vollgestopft. Man kann dann drinnen kaum noch stehen und allein neben dem Fahrer sitzen drei Personen, die sich mit turnerischen Verrenkungen dorthin bewegen müssen. Für den Ausstieg gilt dasselbe und ich habe schon Fahrgäste vorne durch einen Sprung aus dem Seitenfenster aussteigen sehen, da keinerlei Chance bestand, das guagua durch die normale Tür zu verlassen. Auch das Einstiegen kann quälend langsam von Statten gehen, sind doch viele Dominikaner(Innen) ausladend dick und können sich nur mit Mühe seitwärts durch die engen Sitzreihen schieben, was sich beim Aus-Rollen, äh ... -steigen, dann wiederholt. Übrigens: Wer Gepäck auf dem Sitz neben sich abstellt, zahlt zwei Plätze, wer es hingegen auf den Schoß nimmt (gilt auch für kleine Kinder) nur einen.
An der Anfangshaltestelle wartet das guagua außerdem zumeist, bis es wirklich voll ist und fährt erst dann ab. Das kann je nach Tageszeit aber dauern. Bitte also beachten, wenn man irgendwo pünktlich sein will. Wer Spaß an Gesichtsausdrücken des Unverständnisses hat, der frage einmal während der Wartezeit einen cobrador nach einem - höhö! - ... Fahrplan.
Der cobrador nimmt außerdem Fahrziele entgegen. Sehr praktisch, wenn man sich also zum Beispiel im Moloch Santo Domingo nicht auskennt, aber etwa weiß, dass man ungefähr zur "Puente Juan Carlos" möchte. Man kann dann den cobrador bitten, dort zu halten und zumeist davon ausgehen, dass er sich das merkt und den Fahrer an geeigneter Stelle zum Anhalten auffordern wird.
Ein bisschen Vorsicht ist aber trotzdem geboten, denn mitunter (aber doch eher selten) vergessen die cobradores im Tubel den Wunsch. Bei mir hat das etwa schon dazu geführt, dass ich anstatt den Flughafen Punta Cana unfreiwillig das bäurische Hinterland der Provinz La Altagracia kennen lernen durfte, war ich doch eingeschlafen und es hatte der Schaffner meinen Haltewunsch verschwitzt.
Ansonsten ruft man an der Wunschhaltestelle einfach laut nach vorne "¡Déchame!" ("Lass' mich - hier - raus!"), "¡Donde pueda!" ("Wo Sie können/ Wo es geht!"), "¡A la ferreteria!" ("An der Ferreteria/Eisenwarenhandlung!") oder ähnliches und der cobrador wird den Fahrer zum Halten auffordern. Da viele Dominikaner ungern laufen, kann es ohne Schwierigkeiten auf 100 Metern Strecke zu drei Halten an drei nacheinander liegenden Haustüren kommen.
Nach einer gewissen Fahrzeit geht der cobrador dann durch das guagua und sammelt den Einheitsfahrpreis ein. Ist der Bus (wie nicht selten) viel zu voll, lässt er sich das Geld durch die anderen Fahrgäste nach vorne anreichen. Wechselgeld gibt's zumeist nicht sofort, sondern erst, wenn alle abkassiert sind und der cobrador genügend Kleingeld zusammengekratzt hat. Bei kurzen Strecken zahlt man auch manchmal beim Aussteigen.
Im guagua selbst ist es oft interessant, wird doch alles und jeder transportiert und es gibt immer was zu hören. Sei es nun Salsa-Musik, christliche Gesänge, den sales-pitch eines mitfahrenden Vertreters für Heilmittelchen, das Geschwätz der Mitfahrer oder eine inbrünstige Predigt aus dem Radio. Manchmal trällern die Fahrgäste auch lauthals aktuelle Hits mit, spielen mit ihren Kindern, trinken Rum oder speisen fröhlich in Gruppen. Alles ist sehr ungezwungen und meist ein nettes Erlebnis.
Oben: In den Schüsseln sind sog. Yanikekes, mit denen dieVerkäuferinnen zum Strand fahren Unten: An den Haltestellen verkaufen fliegende Händler Erdnüsse, Kekse und Getränke |
Ungewöhnliche Fahrgäste - wie ich - werden neugierig beäugt |
Die Überland-Linien sind im Vergleich zu den normalen guaguas etwas eleganter, sauberer und teurer, aber im Vergleich zu Europa immer noch lachhaft billig. Eine Fahrt von Santo Domingo nach Sosúa - ungefähr 220 km - kostet etwa soviel wie eine mittelgroße Pizza in Boca Chica, also etwa 300 Peso (ca. 6 Euro).
Die bekannteren Busgesellschaften der RD sind Caribe Tours und Metro, die übrigens im Stile der alten Postkutschen auch Pakete und Waren mit ihren Bussen mit-befördern:
Das typische Gelb von Caribe Tours |
Hier die Website, auf der man sehr gut online eine Fahrt planen und die Haltestellen sehen kann:
Website Caribe Tours
Weiter gibt es die Linie "Metro":
Metro in Weiß - das "Luxury" bitte nicht zu wörtlich nehmen |
Hier die Website von Metro: Website Metro
Es gibt aber auch einige kleinere Linien, die nur bestimmte lohnenswerte Strecken abfahren, zB "Transporte Espinal" für die Strecke Santo Domingo - Santiago de Los Caballeros oder "Vegano" für Santo Domingo - La Vega.
Die Überlandbusse fahren ohne cobrador und man bezahlt vorab im Terminal, wo man zumeist auch bequem warten und etwas essen kann. Unterwegs wird außerdem nur an den Stationen der jeweiligen Firmen gehalten und die Abfahr- und Ankunftszeiten sind (relativ) feststehend.
Auch innen sind diese Überlandbusse deutlicher feiner als die normalen guaguas, klimatisiert***, haben meist eine Bordtoilette (von der man nicht zu viel erwarten sollte) und bieten verschiedentlich sogar ein Filmprogramm:
In diesen großen guaguas kann man sehr gut und bequem viel Gepäck mit schleppen, was die Fahrgäste auch gerne in Anspruch nehmen:
Reichlich Reisegepäck für Port-au-Prince (Haití) ... |
In den Städten und Zentren fahren außerdem die Carros públicos, ein Mittelding aus motoconcho und guagua.
Diese Autos oder Minibusse pendeln auf festgelegten Routen ("Rutas") und sind meist in erbarmungswürdigem Zustand:
"Carro" für "Karre" - das kann man sich gut merken |
Der Chaffeur präsentiert stolz sein Fahrzeug |
Nicht unübliche Innenansicht eines carro publico (Minibuss) |
TÜV-Prüfplakette mit Bedenken erteilt |
Die "Ruta A" - das sagt doch alles! |
Innen sitzt der Fahrer, der mit Handzeichen leger seine Ruta anzeigt oder diese ausruft. Er ist also hier Fahrer und cobrador in einem, obwohl in Minibussen manchmal ein eigener cobrador mitfährt.
Der Ablauf ist wie beim Guagua-Verkehr: Pendeln auf der ruta, Ausrufen, Vollstopfen des Carro, Kassieren (in Santo Domingo zumeist Einheitspreis 25 Pesos = 50 Eurocent) und ab geht's.
Der cobrador trommelt Fahrgäste zusammen
Auch in den Carros sitzen meist zumindest zwei Personen auf dem Beifahrersitz und ich muss immer an alte Wetten-dass-Wetten denken, bei denen es darum ging, möglichst viele Personen in einen VW Käfer oder eine Telefonzelle zu quetschen. Hier wird selbiges täglich geübt.
Befüllen eines Minibusses |
Das hat aber auch Vorteile. So kann man attraktiven Mitfahrern sehr schnell sehr nahe kommen oder gleich Tipps zur Weiterreise von den oft ortskundigen Fahrgästen einholen. Wer gerne etwas mehr Platz möchte, kann vorher zwei oder mehr Sitze "kaufen" (und bezahlen), so dass das Carro nicht so arg voll gestopft wird.
Auf unnötigen Firlefanz, wie etwa Gurte, wird gerne verzichtet, da die Anschnallpflicht ohnehin nur für Fahrer gilt. Auch fährt man zumeist - bei den Minibussen - mit geöffneter Schiebetür, da die Gäste dann besser/ schneller aus- und einstiegen können. Sitzt man so in einer Huporgie im Stadtverkehrsstillstand fest, während die seitlich auf 20 cm auffahrenden Autos auf der Hupe herumtrommeln, kommt man einem Hörsturz schon sehr nahe. Bei den einfachen Carros ist es hingegen so, dass oftmals die Türen an einer Seite nicht oder nur mit einem Trick auf gehen, zB durch Ziehen an einem ominösen Draht oder das Runterkurbeln der Scheibe, um die Tür über den Außengriff zu öffnen. Ein Beispiel für eine - übliche - Türinnenansicht:
In nahezu jedem Fall wird übrigens immer rechts ausgestiegen, da der Verkehr links viel zu gefährlich für ein Öffnen der Wagentür ist. Sitzen Sie also links hinten im Carro, werden allen anderen hinten sitzenden Mitfahrer aus steigen, um Ihnen einen sicheren Ausstieg rechts zu ermöglichen. Selbiges wird natürlich auch von Ihnen erwartet.
Noch ein anderer Hinweis zur Vorsicht: Ist sonst niemand im Wagen, vergewissere man sich, dass der Fahrer auch wirklich im Carro-público-Betrieb fährt. Er kann nämlich ansatzlos "auf Taxi" umschalten, seine Ruta verlassen und den Fahrgast alleine und direkt zu seinem Ziel bringen. Das ist natürlich viel praktischer und komfortabler, hat aber den klitzekleinen Nachteil, dass sich der Preis je nach Strecke ohne Ankündigung etwa verzehnfachen kann. Im Zweifel daher besser nachfragen und ungewollte Überraschungen vermeiden.Kleines Fazit: Ich glaube sagen zu können, dass die Guaguas und Carros públicos alles in allem Teil eines für die Verhältnisse gut funktionierenden "Systems" sind. Will man etwa von Boca Chica zur Deutschen Botschaft in Santo Domingo, nimmt man ein fast vor der Haustür haltendes Guagua in Boca Chica, steigt in San Andrés in den Express um, besteigt dann an der Endhaltestelle in Santo Domingo ein/ zwei Carros públicos oder ein Moto(-concho) und wird vor der Botschaft ausgeladen. Das ist manchmal etwas lästig und langsam, aber immerhin ohne eigene quälende Fahrerteilnahme am Stadtverkehr(-schaos), ohne Parkplatzsorgen und für ungefähr 120 Peso (ca. 2,40 Euro).
________________
* Wer jetzt einen Ohrwurm hat - hier ist das Original: Eine Seefahrt usw (1935)
** Die Herkunft des Wortes ließ sich nicht ermitteln. Nach meiner Vermutung handelt es sich um die Entstellung eines -
vielleicht ehemals englischen - Wortes. Übrigens: Kein Mensch benutzt in der RD das spanische Wort "Autobus".
*** Lustig: "Carro" ist in der RD das übliche Wort für "Auto". Wenn Sie das in Spanien und Mexiko geläufige Wort für
Auto ("Coche") benutzen, wird man davon ausgehen, dass Sie das hier suchen:
**** Zum Zeichen, dass auch wirklich klimatisiert wird, sind die Klimaanlagen so eingestellt, dass vermutlich auch ein
Eskimo Kältewallungen bekäme. Ich habe eigens für die Überlandreisen per guagua eine Jacke angeschafft, was ich
dem werten Lesern auch ans Herz legen darf.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.